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„Ich liebe meinen Sport noch immer mit jeder Faser, aber ich würde niemals die anderen Facetten meines Lebens dafür aufgeben!“ – Kletterer Pirmin Bertle im Interview
Kletterer, Journalist, Fotograf, Trainer, Filmemacher, Coach, Vater und Jurtenbesitzer: All das ist Pirmin Bertle. Und er lebt ganz in der Nähe der bleed Heimat. Viele Gründe also, um euch den passionierten Andersdenker einmal vorzustellen.
Was ist in deinem Leben anders als in dem vieler anderer Spitzensportler und Kletterer?
Ich habe Kinder und eine Frau, die in der Klinik schon fast wohnt. Außerdem halte ich nichts von Training, auch nichts von sehr viel Zeit am Fels – ich liebe meinen Sport noch immer mit jeder Faser, aber ich würde niemals die anderen Facetten meines Lebens dafür aufgeben oder hinten anstellen. Außerdem versuche ich einen eigentlich sehr kilometerintensiven Sport mit einem Fußabdruck von einer Erde zu kombinieren – sicherlich der deutlichste Unterschied zu „normalen“ Spitzensportlern in Outdoorsportarten.
Was ist eine Jurte und wie kam es dazu, dass du jetzt mit deiner Familie in drei Jurten lebst?
Im Grunde handelt es sich um ein traditionelles Nomadenzelt aus der Mongolei, unsere Jurten sind aber sowohl an unser Klima als auch in Teilen an unsere Vorstellungen von Wohnkomfort angepasst. D.h. sie sind wasserdicht, haben einen Boden, viel Dämmung, eine Kuppel, einen Innenhimmel und viele Fenster.
Gekommen sind wir dazu eher zufällig. Als wir noch in der Westschweiz lebten, wurde im Rahmen der Scheunenrenovierung der Schwiegereltern eine Bauaufsicht gesucht. Wir kamen auf Jurte, bauten einen Boden und kauften den Aufbau. Unsere Tochter kam darin zur Welt und wir verliebten uns für immer in diese Art zu leben (mehr als nur zu wohnen). Außerdem kam in diesem ersten Jurtenjahr der Traum einmal eine Jurte komplett selbst zu bauen zur Welt.
Warum ist das Leben in einer Jurte nachhaltiger als in einem Haus oder einer Wohnung?
Vor allem wegen den verringerten materiellen Ansprüchen und dem gedrosselten Durchsatz. 1/5 Heizbedarf, 1/10 Strom und 1/25 Wasser – im Vergleich zum deutschen Durchschnittshaushalt. Man muss schon absichtlich Ressourcen und Energie verschleudern – es passiert nicht einfach so, weil man aus Versehen die Ölheizung seine 160m² auf 25° heizen lässt, oder zweimal täglich 30min heiß duscht, oder Platz und „Sinn“ für einhundert Haushaltsgeräte sucht und schließlich findet. Das normale Wohnen im Westen ist in Wahrheit eine hoch effiziente Anleitung zu fast schon zwanghafter Verschwendung. Aber was gut ist fürs BIP, so erzählt man uns mantrahaft, sei auch gut für uns. Auch wenn es dafür gar keine empirischen Belege aus den Humanwissenschaften gibt – nur aus den Wirtschaftswissenschaften.
Um den Fußabdruck aber Richtung einer Erde und 2t CO2 zu senken, kommt man an einem ganzheitlichen Jurtenleben nicht vorbei: Möglichst vegan einkaufen, Eier und am besten auch Ziegenmilch selbst herstellen, einen Garten anlegen, um Grauwasser und organische Abfälle, wie auch Tierkot, wieder in den Kreislauf einbringen zu können. Dazu Finger weg von allen Verbrennern, leichtere Mobilität wirklich umsetzen, auch wenn es regnet – in unserem Fall per E-Bike und E-Motorrad. Second Hand einkaufen. Permakultur entdecken. Sich Zeit nehmen. Das Leben genießen.
Wie winterfest ist denn so eine Jurte?
Extrem. Meine drei Jurten haben schon sechs Tonnen Schnee getragen – auch wenn man in solchen Fällen abschneien sollte. Mit 13cm Dämmung haben wir mehr als die meisten Häuser, nur weniger Masse – das erhöht den Komfort beim schnelleren Aufheizen, senkt ihn aber wegen des schnelleren Auskühlens. Insgesamt aber geht ohne Immersion und trotzdem viel Dämmung der Heizbedarf zurück, weil die Jurten wirklich nur dann warm sind, wenn man sich auch dort aufhält. Morgens kann es aber schon mal unter zehn Grad haben. Bei anhaltendem Frost entleere ich zudem die Wasserleitung und trage dann das Wasser in die Jurte. Das gilt so für vielleicht vier Wochen im Jahr. In dieser Zeit geht natürlich die Außendusche nicht und auch nicht die Innendusche – man wäscht sich wieder am Ofen und mit einer großen Spülschüssel.
Wem es nicht nach Verflachung des Alltags im Sumpf der Bequemlichkeit geht, dem wird die deutlich intensivere Auseinandersetzung mit Umwelt und Selbst gerade im Winter sehr gut gefallen.
Eure Jurten stehen direkt hier in Oberfranken und die Frankenjura ist nur wenige Kilometer entfernt. Wie viele von den ca. 11.000 Routen hast du schon geschafft?
Vielleicht ein Promille. Tatsächlich klettere ich nicht viel, nur schwer. Aber besonders die nicht ganz so schweren Routen im Frankenjura sind sehr schön und ich genieße die Tage mit leicht klettern mindestens so wie die voll am Limit. Praktisch zeigt sich das Gebiet zudem für alle, deren Klettertage eher Stunden als Tage umfassen (Eltern, Angestellte, eigentlich fast alle außer Urlaubern und Profis), weil viele Felsen schnell erreichbar sind.
Was ist für dich die schönste Erinnerung der letzten Monate, trotz Pandemie?
Der erste Lockdown war wunderbar. Wie hatten kleine Ziegen bekommen, Küken ausgebrütet, das Wetter war pausenlos schön, die Bedingungen zum Klettern perfekt, die Schule saß uns nur noch indirekt im Nacken – als Freiberufler stellt sich die deutsche Schulpflicht bayrischer Auslegung als zentrales Kreuz der Alltagsgestaltung dar – die Motorradfahrer gar nicht mehr. Auch nicht die Vielflieger und deutschen Autofetischisten. Einfach nur Frühlingserwachen der Natur und ansonsten Ruhe. Was kann es Schöneres geben?
Weitere Fotos, Videos und Informationen zu Pirmin und seinen Jurten findest du auf jurte.de und lizardclimbing.com!